Interview von Nadine Thalmann
„Eine Sanierung ist notwendig“
Nadine ist Lehrerin. Zusammen mit dem LDF – Lehrerinnen und Lehrer Deutschfreiburg engagiert sie sich für die Verteidigung der Arbeitsbedingungen von Lehrpersonen im Kanton Freiburg. Sie berichtet über ihre Erfahrung während der COVID-Krise und beschreibt die mit der Reorganisation der Pensionskasse verbundenen Herausforderungen.
Wie haben Sie die Coronavirus Krise in Ihrer Schule erlebt?
Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen 13. März: Ich war am Nachmittag mit meinen Schülern für eine Turnlektion in der Turnhalle. Per Zufall habe ich meine SMS-Nachrichten gelesen. Und plötzlich hiess es: Die Schulen schliessen. Als Lehrerinnen und Lehrer wurden wir nicht im Voraus informiert. Ich bin also mit der ganzen Klasse sofort wieder ins Schulhaus gegangen. Wir hatten keine Ahnung, was uns erwartet. Die Schulleitung hat empfohlen, alles mitzunehmen: Bücher, Hefte… Wir wussten noch nicht, wie es in den nächsten Wochen weitergeht. Für mich, war es besonders schwierig, nicht zu wissen, wie lange die Schulen schliessen und wie ich mit meinen Schülern in Kontakt bleiben kann.
Nach der Schliessung war es zunächst ruhig, weil wir uns überlegen mussten, wie wir diese Krise managen. Die Schwierigkeit lag darin, dass wir nicht wussten, was uns bevorsteht. Es war aber doch schon klar, dass es über eine längere Zeit gehen würde. Mein Glück war, in einer sehr gut organisierten Schule mit einem sehr guten Teamzusammenhalt zu arbeiten. Wir haben uns getroffen und zusammen entschieden, wie wir vorgehen. Wir erstellten unseren Plan und legten fest, wie wir uns für Unterstufe, Mittelstufe und Oberstufe organisieren. Wir haben zum Beispiel zusammen beschlossen, welche Aufgaben wir geben und wieviel. Zusammen zu entscheiden, was wir machen und wie wir vorgehen, hat sehr viel Druck aus der Situation genommen. Ich war sehr dankbar, dass nicht jeder auf sich alleine gestellt war.
Wie hat die Schule aus der Ferne dann konkret funktioniert?
Wir haben uns für einen Plan entschieden, den jeder Schüler zu Hause erhielt und in dem die Aufgaben erklärt sind. Wir hatten auch das Glück in unserer Schule, dass wir schon eine eingerichtete Cloud zur Ablage unserer Dokumente hatten, so dass die Schüler einige von dort herunterladen konnten. Es schien uns wichtig, ein Minumum an Videokonferenzen anzubieten. Nicht, dass die Schüler nur Arbeitsblätter von uns per Post bekommen, sondern dass wir uns auch sehen und miteinander austauschen können. Wir haben deswegen die Videokonferenz eingesetzt, je nach Fach, wo nötig und wo möglich.
Es war eine grosse Herausforderung: In kurzer Zeit mussten wirr Know-how im Bereich IT entwickeln. Wir haben verschiedene Apps getestet und überlegt, wie wir die Online-Treffen gestalten. Wir haben das für die Schüler einfachste Tool ausgewählt. Danach haben wir den Familien einen Brief geschickt und zu festen Online-Terminen eingeladen. Wir haben persönlichen Kontakt mit all jenen aufgenommen, die es nicht schaffen. Es hat gut funktioniert, denn alle unsere Schüler konnten an diesen Videokonferenzen teilnehmen.
Inwiefern hat die Krise Ihre Rolle deutlich gemacht?
Ich habe den Eindruck, dass die Krise gezeigt hat, dass wir nicht nur eine pädagogische Rolle spielen. Es ist zwar unsere Hauptaufgabe, aber die Schule spielt auch eine wichtige soziale Rolle. Deswegen riefen wir die Schüler persönlich und individuell an, um in Erfahrung zu bringen, wie es ihnen geht. Es war wichtig für alle, in Kontakt zu bleiben: für uns, das Lehrpersonal, aber auch für die Schüler und Eltern.
In dieser speziellen Zeit fielen die Osterferien, was für Kinder und Eltern eine Herausforderung war. Die Familien waren zwei Wochen zu Hause, ohne grosse Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Deswegen haben wir ein paar lustige Aufgaben angeboten, die alle fakultativ blieben und zur Unterhaltung dienten. Dafür haben wir eine eigene WhatsApp-Gruppe gebildet, worüber die Schüler uns Fotos, Videos oder Zeichnungen schicken konnten.
Ich habe in dieser Zeit eine ganz andere Atmosphäre mit den Eltern erlebt. Die normale Hemmschwelle, die üblicherweise zwischen Lehrern und Eltern besteht, war wie weg.
Was auch merkwürdig ist: Ich kann jetzt anders unterrichten! Ich habe bemerkt, die Schüler sind selbständiger, als man es ihnen vielleicht zutraut. Sie haben die Krise grundsätzlich gut gemeistert, so dass ich ein bisschen offener unterrichten und Projekte offener gestalten kann. Vom Mai bis Juli durften wir keine Hausaufgaben und keine Noten geben. Ohne Noten und Hausaufgaben, so denkt man, lernen die Schüler nichts. Ich habe aber genau das Gegenteil erlebt. Es hat den Schülern den Druck genommen. Sie haben sich gefreut, wieder in die Schule zu kommen und haben aus Spass gelernt.
Wie haben die Eltern Ihre Arbeit während der Krise wahrgenommen?
Es hat mich gefreut, in der Krise zu hören, dass, was wir als Lehrer machen, wichtig und gut ist. Die Krise hat in den Vordergrund gestellt, was wir alles in der Schule machen. In normalen Zeiten merken es die Leute weniger, weil sie sich nicht so intensiv damit beschäftigen müssen und zum Teil die Lehrpersonen ein schlechtes Image haben. Die Beteiligung der Familie hat unsere Arbeit und ihre Vielfältigkeit gezeigt. Es freute mich zu hören, dass die Lehrer wichtig sind! Jetzt habe ich den Eindruck, dass alle besser wissen, was wir genau leisten und hoffe, dass es dazu beiträgt, dass wir nicht nur als Ferientechniker bezeichnet werden. Generell hat die Krise deutlicher gemacht, was wir alles tun.
Wie ist die heutige Situation für das Lehrpersonal?
Wir waren alle froh, dass der Präsenzunterricht wieder beginnt und dass wir zu mehr Normalität zurückkehren. Normal war es jetzt aber nicht. Die gesundheitliche Situation scheint sich zu verbessern, aber in den Schulen bleiben trotzdem grosse Unsicherheiten. Klassen oder Schulen können jederzeit wieder schliessen. Lehrpersonen können krank oder in Quarantäne sein und brauchen eine Stellvertretung. Wir müssen agil und flexibel bleiben, da der Lehrpersonen-Mangel eine Realität ist.
Am 29. November wird das Volk sagen, ob es das Sanierungsprojekt der Pensionskasse unterstützt. Was halten Sie von diesem Kompromiss?
Die Lösung, die uns angeboten wird, ist natürlich unbefriedigend: Wenn wir finanzielle Verluste haben, werden wir nicht jubeln. Logisch! Aber eine Sanierung ist notwendig. Wir müssen die Pensionskasse sanieren. Dafür müssen wir einen Kompromiss eingehen. Meiner Meinung nach ist es jetzt wichtig, auch wenn man nicht zufrieden ist, oder auch wenn man diese Verluste nicht möchte, dass mit JA abgestimmt wird. Denn wenn es nicht durchkommt, wird die Lösung noch schlechter sein. Es würde für das ganze Staatspersonal noch mehr Verluste bedeuten. Ich hoffe, dass die Bevölkerung zeigt, dass sie das Staatspersonal braucht und dass sie deswegen uns mit diesem Kompromiss unterstützt. Heute ist der Kompromiss so, dass das Staatspersonal 10% weniger Rente haben wird. Sollte diese Reform nicht angenommen werden, muss eine andere Lösung gefunden werden. Diese wird mit aller höchster Wahrscheinlichkeit schlechter als die vorherige sein und kann Renteneinbussen von bis zu 25% mit sich bringen. Bei einem Ja zu dieser Abstimmung würde ich die Dankbarkeit der Bevölkerung für unseren Einsatz spüren.
Wie überzeugen Sie Ihr Umfeld, diesem Kompromiss zuzustimmen?
Ich versuche immer, meine Sichtweise zu erklären. Es hat an vielen Orten Mangel an Staatspersonal. Beim Lehrpersonal auch. Heutzutage kann man die offenen Stellen kaum besetzen und Stellvertreter sind schwierig zu finden. Wenn es zusätzlich dazu noch eine weitere Hürde gibt – wie noch höhere Verluste – dann wird die Situation sehr kritisch. Eine direkte Konsequenz wäre, dass es noch mehr Mangel geben wird. Ich denke, das Volk muss sich dieses Mangels und Risikos bewusst sein.