Interview von Sara Selmi
„In unserer Gesellschaft müssen wir uns gegenseitig unterstützen und hochziehen“
Das Staatspersonal stand während der Corona-Krise an der Front. Seine Arbeit wurde von der Bevölkerung sehr begrüsst. In der Serie «Gesichter des öffentlichen Dienstes», die wir heute mit Sara Selmi eröffnen, übergeben wir jeweils das Wort einer Vertreterin / einem Vertreter des Service public. Sara Selmi ist Anästhesistin am HFR und Personalvertreterin im Verwaltungsrat des Spitals. Das Interview fand ein paar Tage nach den ersten Lockerungen der Corona-Massnahmen statt.
Wie haben Sie diese Krise persönlich und gemeinsam mit dem Personal des HFR erlebt?
Ich bin Pflegefachfrau mit Spezialisierung in Anästhesie – unsere Leistungen wurden stark in Anspruch genommen. COVID hat dazu geführt, dass wir die geplanten Operationen auf Eis legen und auf der Intensivstation aushelfen mussten. Die Anästhesistinnen und Anästhesisten verfügen über eine sehr solide Ausbildung und besitzen die notwendigen Fähigkeiten, um sich um intubierte Personen mit schweren Erkrankungen und vielen Komplikationen zu kümmern, wie es bei den COVID-Erkrankten der Fall war.
Das Anästhesie-Team hat also seinen gewohnten Arbeitsbereich verlassen, um in einem ganz anderen Gebiet einzuspringen. Dies war sehr verunsichernd, aber wir haben uns angepasst: an den speziellen Rahmen mit den Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation, an den Stress, die Angst … Nun galt es, mit neuen Teams zusammenzuarbeiten und insbesondere die Unsicherheit zu bewältigen.
Bei Notfällen habe ich parallel dazu weiterhin noch in der Anästhesie gearbeitet. Ich hatte also verschiedene Arbeitszeitmodelle und viele Nachtschichten. Das war natürlich eine sehr ermüdende Zeit. Wir waren wirklich an der Front.
Wie fühlen Sie sich heute, zum Zeitpunkt, da die Spitze der Krise vorüber scheint?
Ich bin sehr erleichtert, dass wir diese Zeit hinter uns haben, aber wir sind alle sehr müde. Auch wenn wir weit Schlimmeres erwartet hatten, war die Welle anstrengend, mit permanenter Anspannung und sehr grosser Notwendigkeit, sich anzupassen. Jetzt nehmen wir die normalen Tätigkeiten wieder auf, ohne zwischen der Krise und der Wiederaufnahme unserer eigentlichen Arbeit die Zeit gehabt zu haben, uns auszuruhen. Das ist echt schwierig. Darin sind sich im Spital alle einig. Ich war erstaunt darüber, die Menschen, die ich als sehr robust und stabil erlebt hatte und die sich nie beklagt hatten, vor Müdigkeit weinen zu sehen.
Aber es herrscht auch eine starke Solidarität und viel Freude: Wir sind zusammengewachsen, wir haben uns gegenseitig geholfen. Wir haben in dieser Zeit sehr viel gelernt. Es gab unglaublich viel Solidarität und Hilfe. Auch die Ärztinnen und Ärzte sehen uns aus einem anderen Blickwinkel und zeigen viel mehr Anerkennung für unsere Arbeit.
Es scheint, niemand möchte mehr Ihren Ausstieg aus dem StPG. Denken Sie, dass sich die Sichtweise auf Ihre Arbeit verändert hat?
Ja, da bin ich überzeugt. Das Pflegepersonal ist das Gerüst des Spitals und in einer solchen Krise werden sich alle dessen bewusst. Es ist das Fachpflegepersonal, das sich um die Versorgung der Patientinnen und Patienten kümmert und in deren unmittelbarer Nähe arbeitet. Was ich seit 20 Jahren beobachte, ist, dass es die Pflegenden, die Hilfspflegenden, die Putzkräfte, die Menschen in der Küche sind, die das Spital am Laufen halten.
Es wäre also für alle – für die Politik, die Direktion und die Bevölkerung – ein Risiko, uns aus dem StPG zu nehmen. Der Verlust an Attraktivität dieses Berufs würde weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen; nicht nur, was die Personalknappheit anbelangt, sondern auch rein finanziell. Studien zeigen, dass die Spitäler, wenn sie die von Pflegefachpersonen geleistete Versorgung oder die Anzahl der Pflegefachpersonen pro Patient/in herabsetzen – sei es auch nur für wenige Stunden – sehr schnell mehr Geld verlieren, als sie dabei beim Personal einsparen. Gut ausgebildetes Personal erlaubt also den Spitälern zu sparen.
Diese Krise zeigt insbesondere, welche Schlüsselrolle die Personen spielen, die unseren Gesundheitsberuf ausüben. Unsere Berufe sind in den Mittelpunkt gerückt. Die Medien haben ihnen viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Bevölkerung konnte sich ein besseres Bild von der essenziellen Rolle des Pflegepersonals in den Spitälern machen.
Die Debatten über den StPG oder das Streikverbot haben viele von uns schockiert. Sie zeigen die mangelnden Kenntnisse über unsere Arbeit und unsere Werte … Natürlich sind «Krankenschwestern» keine Nonnen mehr, aber geblieben ist, dass wir niemals einen Kollegen/ eine Kollegin oder einen Patienten/ eine Patientin im Stich lassen. Wenn das Pflegepersonal weiterhin geringschätzt wird, ist die Gefahr gross, dass es die Motivation, die es auszeichnet, verliert.
Sind Sie stolz auf die Arbeit Ihrer Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Monaten?
In der Pflege haben wir keinen persönlichen Stolz, aber wir wollen immer unsere Arbeit recht machen und in dieser Krise haben wir ganz klar die Befriedigung der verrichteten Arbeit zu Diensten von Personen, die diese benötigten. Wir haben Leben gerettet, Menschen entlastet, wir mussten Personen in den Tod begleiten.
Was sind heute Ihre Erwartungen gegenüber dem Staat?
Die Dankbarkeit, die uns die Bevölkerung und die Behörden entgegengebracht haben, tut gut. Aber ich denke, dass wir konkrete Bemühungen brauchen. Wir erwarten eine bessere Reaktion auf unsere Bedürfnisse, mehr Unterstützung und eine Anerkennung unseres Berufs, die der Dauer unserer Ausbildung entspricht. Wir erwarten also ganz einfach, dass wir unterstützt und verteidigt – anstatt angegriffen – werden.
In der COVID-Krise wollte man uns zu Heldinnen machen. Aber ich bin nicht Wonder Woman. Ich hätte einfach gerne, dass dem Beruf, den ich gewählt habe und ausübe, mehr Respekt entgegengebracht wird, und somit auch der Tatsache, dass ich zu unregelmässigen Zeiten arbeite und Nachtarbeit leiste, dass ich einer grossen Belastung ausgesetzt bin, dass ich ein Recht darauf habe, am Morgen nach einer Nachtschicht frei zu bekommen … Ich hätte gerne, dass sich die Behörden und die Spitalleitung für jene Faktoren einsetzen, die es unseren Berufen erlauben, attraktiv zu bleiben, damit die Menschen weiterhin Lust haben, diesen Beruf auszuüben. Und um dahin zu kommen, ist es wirklich wichtig, dass man uns zuhört und unsere Bedürfnisse ernst nimmt.
Denken Sie, dass die in dieser Krise vom Gesundheitspersonal unternommenen Anstrengungen das Image des öffentlichen Dienstes verbessert haben?
Das ist sehr schwer zu sagen. Doch ich hoffe natürlich, dass die Bevölkerung die Sanierung der Pensionskasse als Investition in eine Gesellschaft sieht, die hochwertige Pflegedienstleistungen bietet. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass die Freiburgerinnen und Freiburger die Bedeutung der Berufe des öffentlichen Dienstes für ihre Lebensqualität verstehen.
Wie stehen Sie zum Kompromiss, der für die Pensionskasse gefunden wurde?
In einer idealen Welt hätten wir uns alle gewünscht, dass der Beitrag des Staates höher ausfällt, damit wir nicht einen Teil unserer Rente verlieren. Daher verstehe ich alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich durch die Übereinkunft geprellt fühlen. Doch dann muss man die Interessen abwägen: Möchten wir wirklich, dass der Staat einen Betrag vorschlägt, der die Zustimmung des Grossen Rats und der Bevölkerung verunmöglicht? Die Debatten und die klare Annahme durch den Grossen Rat – mit einer überdeutlichen Mehrheit (Anm. d. Red. : 93 Ja-Stimmen gegenüber 7 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen) – haben gezeigt, dass die Lösung des Staatsrats für ausgewogen befunden wurde. Das war ein wichtiges Zeichen im Vorfeld der Volksabstimmung.
Wie gehen Sie vor, um die Bevölkerung zu überzeugen?
Ich glaube, dass wir die Bevölkerung weiter über die Wichtigkeit der Pflegeberufe für ihre Gesundheit informieren müssen. Geraten die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals unter Beschuss, wird es zu einem grossen Personalmangel kommen. Das ist eine Tatsache. Bereits heute verlässt ein grosser Teil des ausgebildeten Pflegepersonals schon nach fünf Jahren die Pflege. Irgendwann wird die Direktion des HFR Schwierigkeiten haben, qualifiziertes Personal zu finden. Das wird eine Katastrophe für das Gesundheitssystem.
Die Pensionierungsbedingungen tragen massgeblich zur Attraktivität eines Berufs bei. Auch wenn das Pflegepersonal, wie ich schon gesagt habe, sich ausserordentlich einsetzt, so kann man nicht seine Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern und hoffen, dass es aus reiner Aufopferungsbereitschaft und ohne Rücksicht auf die eigenen Interessen und die eigene Gesundheit weiterarbeitet.
Um das Personal in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes bei der Stange zu halten, muss man in die Zukunft investieren. Für die Pensionskassenvorlage zu stimmen, ist eine solche Investition. Damit sparen wir mittel- und langfristig öffentliche Gelder! Wir befinden uns in einer Konkurrenzsituation zwischen den Spitälern. Wenn wir unser ausgebildetes Personal verlieren, müssen wir woanders neues suchen. Entweder sind die Kosten für dieses Personal höher oder wir finden keines, was wiederum – wie bereits vorher erklärt – zu viel höheren Kosten für das Spital führt.
Schliesslich bin ich auch der Ansicht, dass wir in unserem Land mehr Solidarität zeigen und nicht mehr ständig den öffentlichen Sektor dem privaten gegenüberstellen sollten. Wir bitten heute um die Unterstützung der Bevölkerung bei dieser Abstimmung. Während der Corona-Krise haben wir keine Sekunde gezögert, für genau diese Bevölkerung da zu sein.
Niemand von meinen Kolleginnen und Kollegen würde zögern, wenn es darum ginge, Forderungen bezüglich Arbeitsbedingungen des Personals in der Privatwirtschaft zu unterstützen. In unserer Gesellschaft müssen wir uns gegenseitig unterstützen und hochziehen und hochziehen. Niemand gewinnt, wenn Arbeitsbedingungen in Frage gestellt werden.